Rodbertus Carl Die Forderungen Der Arbeitenden Klasse

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Dr. August Skalweit

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194ft

VORWORT

DES

HERAUSGEBERS

Der abgedruckte Aufsatz gilt als Hodbertus' Erstlingsschrift. Er hatte sie Ende der 30er Jahre an die Allgemeine Augsburger Zeitung eingesandt, die sie aber ablehnte. Sie lag dann Jahrzehnte lang in Hodbertus' Manuskriptenschublade, bis sie, 1872 wieder hervorgeholt. bruchstückweise in der Berliner Revue veröffentlicht wurde. Nach seinem Tode ist dann das Ganze von Rudolf Meyer in den "Briefen und sozialpolitischen Aufsätzen" herausgegeben worden. Ein zweite.r, nach dem Manuskript verbesserter Abdruck wurde später von Adolph Wagner (Schriften von Carl Rodbertus-Jagetzow B III. Berlin 1899) besorgt. Diese Edition ist auch unserer Veröffentlichung zugrunde gelegt. über das Jahr der Entstehung der Schrift gibt es zwei Versionen. Die ältere ist das Jahr 1837. Da indes die. eingangs des Aufsatzes erwähnten "Birminghamszenen" erst zwei Jahre später stattfanden, so muß 1839 als Erscheinungsjahr gelten. In dem Vorwort, das Adolph Wagner seiner Veröffentlichung voranschickt, wird gesagt, daß Rodbertus in seinem ganzen späteren Leben über das damals von ihm Geleistete nur in Einzelheiten hinausgekommen sei. "Es sind immer nur dieselben großen und gewaltigen, wahrhaft packenden, kritisehen Gedanken, in oft unnachahmlich schöner Sprache, aber auch immer nur wieder die nicht ausreichenden, eigentlich doch bloß orientierenden positiven Gedanken und Vorsenläge schon des damaligen Aufsatzes - Normalwerk-Arbeitstag und -Lohn, Arbeitsgeld -, welche. Rodbertus wiederholt." Wie hoch Rodherlus als aller Mann seine Erstlingsarbeit einschätzte, geht aus dem Briefe hervor, den er 1872 zugleich mit dem alten, seinerzeit abgelehnten Manuskript an seinen Freund Rudolf Meyer sandte: "Sie finden in diesem Aufsatze schon das ganze System, das ich stückweise in meinen nationalökonomischen Schriften entwickelt habe, und von denen nur das wichtige Stück "Kapital" fehlt. Ich habe die Überzeugung seiner Richtigkeit gefaßt, als ich nach vierjährigen angestrengten nationalökonomisehen Studien selbständig nationalökonomisch denken lernte. Durch ein späteres jahrelanges Studium der ationalökonomie des Altertums ist sie mir nur bestärkt worden; ebenso durch die Ereignisse eines dreißigjährigen Zeitraums, und ich werde sie auch mit ins Grab nehmen. Aber Sie können sich wohl vorstellen, daß,

wenn die Gedanken in dem anliegenden Aufsatz doch noch heute den meisten spanisch vorkommen, sie damals der Augshurgerin wie reine böhmische Urwälder vorkommen mußten." Zwei seinen ganzen Lebensgang bestimmende Momente sind für Bodbertus' wissenschaftliche Haltung grundlegend geworden. Einmal weckte das Bewußtsein, als eigener Herr von Ar und Halm vor keinem Menschen den Rücken krümmen zu müssen, in ihm ein Hochmaß von Selbstgefühl, das ihn auch in seiner Wissenschaft über herrschende Schulmeinungen selbstherrlich binwegscbreitcn ließ. Zugleich verlieh ihm das tägliche Ringen mit der Natur und ihren Launen jene bäuerliche Zähigkeit, die ihn von dem Verfolgen einmal gefaßter Pläne nicht abbringen ließ. Es mag kein Zufall gewesen sein, daß die 'ersten beiden deutschen volkswirtschaftlichen Theoretiker von Weltruf, Thünen sowohl wie Rodbertus, Landwirte gewesen sind. - Das zweite war, daß Hodbertus, aufgewachsen in einer Zeit, in einer Umgebung gesteigertem Nationalgefühls, die von ihm erstrebte Lösung der sozialen Frage nicht mit kosmopolitischen Zielsetzungen verband, wozu sonst der Sozialismus, vor allem der Marxismus neigte. Carl Rodbertus 1805 in Greifswald geboren, stammte aus einer Gelehrtenfamilie. sein Vater war Professor des römischen Rechts an derdortigen Universität, und auch sein Großvater mütterlicherseits, der bekannte Physiokrat und Freund des Markgrafen Karl Friedrich von Baden, Johann August Schlettwein, war Professor gewesen. Doch wurde es für den jm:gen Rodbertus entscheidend, daß sein Vater, als Norddeutschland von den Franzosen besetzt wurde, sich vom Lehramt zurückzog (1808) und die Bewirtschaftung eines seiner Frau gehörenden meckle.nburgischen Ritterguts übernahm, wo Rodbertus aufwuchs und das Landleben liehen lernte. Doch büßte er damit die ererbte Neigung zur Wissenschaft nicht ein. Er studierte Jura in Göttingen. wo er der von der Reaktion verfolgten deutschen Burschenschaft angehörte, und in Berlin, legte seine juristischen Staatsprüfungen ab, quittierte dann aber, 25 Jahre alt, bereits den Staatsdienst, um sich auf Reisen zu begeben und volkswirtschaftliche Studien zu treiben. Mit 30 Jahren kaufte er sich das im pommerseben Kreise Demmin gelegene Rittergut Jagetzow. Hier hat Rodbertus bis an sein Lebensende gelebt und als tüchtiger Landwirt gewirkt. Bei seinen Berufs- und Standesgenossen in 4

hohem Ansehen stehend, wurde er in noch jungen Jahren mit Ehrenämtern betraut, in den Provinziallandtag und im Revolutionsjahr 1848 auch in die preußische ationalversammlung gewählt. Die Stellung, die er sich in diesem Parlamente erwarb, brachte ilm als Kultusminister in das Kabinett Auerswald, doch legte er schon nach wenigen Tagen sein Portefeuille nieder, weil die schwächliche Haltung, die die preußische Regierung in der schleswig-holste.inschen und in der Reichsverfassun.gsfrage einnahm, seiner nationalen Anschauung widersprach. Rodbertus hat sich seitdem einer aktiven politischen Tätigkeit enthalten. Im Vordergrund seines Denkens und Trachtans stand Rodbertus von Jugend an die Lösung der sozialen Frage. Sie ist ihm nicht nur eine Arbeiterfrage. sondern eine nationale Frage, ja die Lebensfrage der Zivilisation überhaupt. Das Zeitalter des Individualismus - das ist der von ihm verfolgte Gedankengang - hat seine Mission erfüllt. Er muß ersetzt werden durch ein Zeitalter des Sozialismus, der an die Stelle der Willkür des rentierenden Eigentums der Besitzenden die staatsautoritär geregebe Einkommensverteilung setzt. Ei:n Zustand, der den arbeitenden Klassen nicht mehr als den notwendigen Unterhalt gewährt, kann gerechtfertigt sein, wenn die Produktivität der Wirtschaft noch so gering ist, daß anders nicht die als Träger der } ultur berufenen oberen Volksschichten unterhalten werden können. "Auf einer Stufe, auf der man nur Handmühlen kennt, muß Sklaverei existieren." In der Gegenwart aber ist infolge des Sieges, den der Mensch dank seiner gewerblichen Kenntnisse über die Natur errungen hat, die Produktivität groß genug, UDI den arbeitenden Klassen mehr als den notwendigen Unterhalt zukommen und mit einem höheren Anteil an den Errungenschaften der Zivilisation und Kultur teilhaben zu lassen. Geschieht es trotzdem nicht, "so liegt dies an den rechtlichen oder staatswirtschaftlichen Institutionen, und die gesellschaftliche Organisation muß eine andere werden." Die Anforderungen, die einer solchen Organisation gestellt werden müßten, würden auf dreierlei hinauslaufen: erstens auf eine Erhöhung des Anteils, der der Arbeiterklasse vom gesellschaftlichen Gesamtprodukt zufällt, zweitens auf eine Beteiligung der Arbeiter an der steigenden Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit, und drittens darauf, daß die Arbeiter den sie drückenden Einflüssen wirtschaftlicher Wechsellagen entzogen würden. W,elche Maßregeln zu treffen 5

wären. um diesen Anforderungen zu genügen, hat Rodbertus zum Schluß seiner von uns mitgeteilten Schrift angedeutet. Die erste wäre eine gesetzliche Wertbestimmung aller Güter nach Arbeit, die ich von Zeit zu Zeit mit der Veränderung der Produktivität auch verändern müßte, - die zweite die Festsetzung eines an diese Wertbestimmung sich eng anschließenden Arbeitsgeldes zur Löhnung der Arbeiter, und die dritte ein Magazinierungssystem zur Realisierung jenes Arbeitsgeldes. Es ist ein Leichtes, an solchen Vorschlägen im einzelnen Kritik zu üben. Man hat sie - gewiß nicht immer mit Unrecht - als utopisch bezeichnet. Der gerecht abwägende Beurteiler wird indes anerkennen, daß alle diese Vorschläge Ausfluß des Bestrebens sind, der als richtig erkannten Forderung, dem Arbeiter den ihm gebührenden Anteil am wachsenden Produktionsertrage zu gewähr1eisten, einen Weg für die praktische Verwirklichung zu weisen. Im Grunde genommen kommt es weniger auf das Wie als auf das Was an. Entscheidend aber für die Gestaltung der' sozialen Verhältnisse ist nach Hodbertus Meinung, daß sie nicht, so wie es die klassische Nationalökonomie wolle, dem freien Spiel natürlicher Gesetze überlassen bleiben. "Nicht Physiokratie, sondern Anthropokratie" (ich zitiere nach einem diesen Titel führenden späteren Aufsatze) lautel die Forderung. überlasse sich die Gesellschaft dem Wa'lten der Natur, so gehe sie zugrunde, denn nicht von selbst, wie im Menschenr leibe die Nährstoffe, sondern nur unter verständiger und planvoller Leitung gelangten die gesellschaftlichen Güter dahin, wo sie nötig seien. "Dort im physischen Organismus irrt der Mensch und heilt die Natur, hier, im gesellschaftlichen, heilt der Mensch und irrt die Natur. Wir müssen uns also des Göttlichen in uns wieder mehr erinnern. Wir müssen die ehernen Gesetze jener Naturnotwendigkeit brechen, nach denen sonst auch der deutsche Staat seines .Daseins Kreise vollenden' würde. Wir müssen diesen Naturgesetzen freie, sittliche, neubelebende Menschengesetze substituieren . .. Wir müssen es und wir können es, denn wir Menschen vermögen das Unmögliche, wir dürfen alles Irrende, Schweifende nützlich verbinden." Der Staat muß in seine volkswirtschaftlichen Rechte wieder eingesetzt werden.v..Die Staaten sind nicht so glücklich oder so unglücklich, daß sich ihre Lehensfunktionen von selbst mit Naturnotwendigkeit vollziehen. Wie sie als geschichtliche Organismen sich selbst 6

-organisierende Organismen sind, sich ihre Gesetze und Organe .selbst zu geben haben, so gehen auch die Funktionen ihrer Organe nicht mit Notwendigkeit vor sich, sondern sie, die Staaten selbst, haben sie in Freiheit zu regeln, zu unterhalten, .zu fördern." Hodbertus' Lehre ist konsequenter Staatssozialismus. Sie steht damit im schroffen Gegensatze zum Marxismus, für den der staatslose Zustand Ietztes Ziel ist. All!}die vorgetragenen Gedanken finden sich bereits in der von uns wiedergegebenen Erstlingsschrift. Eine umfangreiche literarische Tätigkeit hat das, was zunächst nur angedeutet var, vertieft und ergänzt. In der 1842 erschienenen Schrift "Zur Erkenntnis unserer staatswirtschaftlichen Zustände" sowie in den "Sozialen Briefen an v. Kirchmann", die Anfang der fioer Jahre 'herauskamen, entwickelte Rodhertus seine Wertlehre und auch seine Zins- und Grundrententheorie. Dem "Normalarbeitstag", der den Angelpunkt in seinen Vorschlägen zur Lösung der sozialen Frage bildete, widmete er im Jahre 1871 eine besondere Untersuchung. "Das Kapital", zugleich der vierte von seinen sozialen Briefen an v. Kirchmann, ist erst nach seinem Tode erschienen. Neben den Werken, die der Erforschung der Grundursachen der sozialen Not und der Mittel zu ihrer Abhilfe. galten, bewegte sich das literarische Schaffen von Rodbertus noch auf zwei anderen Hauptgebieten. dem der antiken Staatswirtschaft .und der Agrarpolitik, vornehmlich des Agrarkreditweserus. Seine wirtschaftshistorischen Schriften mögen heute in wichtigen Punkten als überholt gelten, zunächst aber waren sie für die Auffassung der Wirtschaftsgeschichte des Altertums, .insbesondere der römischen Agrar- und Steuerverhältnisse grundlegend. Daß die Jenaer Philosophische Fakultät ihn daraufhin zu ihrem Ehrendoktor machte, mag dafür kennzeichnend sein. Sein W~rk "Zur Erklärung und Abhilfe der heutigen Kreditnot des Grundbesitzes" (1868/69)' dem kleinere Schriften über den gleichen Gegenstand vorangegangen waren, kann als klassisch gelten, mag man es auch in einzelnen Punkten ablehnen. Dietze.l bezeichnet es als das reifste seiner Werke. Durch den Nachweis, daß die agrare Hypothekenschuld nicht ebenso wie eine kündbare Kapitalanleihe behandelt werden dürfe, hat sie auf die Gestaltung des Agrarkredits auch in der Wirtschaftspraxis nachhaltige Wir-' kung gehabt. Nimmt man noch hinzu, daß Rodbertus, wie bereits seine Erstlingsschrift beweist, eine Sprache führte, die reich an .3

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eindrucksvollen Formulierungen war, so bedarf es einer Erklärung, weshalb die Resonanz, die Rodbertus bei seinen Zeitgenossen fand, verhältnismäßig schwach war. Rodbertus war ausgesprochen ein Eingänger, kein Parteimensch. Keiner der führenden Parteien konnte er gerecht werden. Die Konservativen sahen in ihm den mit dem Feuer spielenden Sozialisten. Gegenüber den Ultramontanen stand er in erklärterGegnerschaft. Die Liberalen wollten von seiner Staatsintervention nichts wissen. Die Demokraten kamen nicht darüber hinweg, daß er kein Anhänger des Parlamentarismus war und nicht an die Heilkraft der Göttin Majorität glaubw. Von d~n Sozialdemokraten trennte ihn die Ablehnung der Internationale und der Klassenkampfidee. Auch mit den Kathedersozialisten, denen er am nächsten stand, hatte er sich überworfen. Sie galten ihm, weil sie sich in den zozialen Fragen nach seiner Meinung nur mit Kompromissen begnügten, als. "Zuckerwasser-Sozialisten" . So fehlte ihm die auf breite Massen wirkende Gefolgschaft. Er hatte auch seiner ganzen Veranlagung nach nicht das Zeug dazu, sich eine solche zu erwerben. Wer sich durchsetzen will, muß bereit sein, sich bis zum letzten für die vertretene Sache einzusetzen, ja das Los des Märtyrers für seine Überzeugung auf sich aufzunehmen. Hodbertus dagegen zog "dieRolle des unsichtbaren R,egisseurs" vor, der von Jagetzow aus durch Briefwechsel mit Gesinnungsgenossen seine Sache zu propagieren suchte. Aber auch der Nachwelt ist es schwer gemacht worden, in Rodbertus' Lehre einzudringen. Seine Schriften, zum Teil an kleinen Orten und bei kleinen Verlegern erschienen oder in Zeitungen und Zeitschriften zerstreut, sind so stark verzettelt, daß es selbst dem Rodbertusforscher nicht leicht wird, sich ein Gesamtbild seines literarischen Schaffens zu vermitteln. Da Rodbertus die große Gefolgschaft ermangelte, fand sich auch nach seinem Tode keine Gruppe, die politisch oder wissenschaftlich an der Sammlung seiner Schriften ein Interesse ~ehabt hätte. Bis auf den heutigen Tag besitzen wir keine Gesamtausgabe seiner Werke. Es wäre zu wünschen, daß die Gegenwart, die stärker denn je ein staatssozialistisches. Gepräge erhalten hat, sich dieser Aufgabe annähme. Die 'deutsche Nationalökonomie ist nicht so reich an großen Denkern, als daß sie auf einen umfassenden Einblick in das Schaffen und Wesen von Carl Rodbertus verzichten könnte. Sk.

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DIE FORDERUNGEN DER ARBEITENDEN KLASSEN Was wollen die arbeitenden Klassen? Werden die andern ihnen dies vorenthalten können? - Wird das, was sie wollen, das Grab der modernen Kultur sein? - Daß einst mit großer Zudringlichkeit die Geschichte diese Frage tun würde, wußte der Denkende längst, durch die Chartistenversammlungen und die Birminghamscenen-) hat es auch die Alltagswelt erfahren. Indessen können wir die ersten beiden Fragen nur berühren. Sie sind empfindlich für die Machthaber und noch empfindlicher für die Besitzenden. Die dritte geht die Wissenschaft an. Jedoch kann auch ein Artikel, wie der vorliegende, keinen Anspruch darauf machen, sie vollständig zu lösen. Er kann nur zu ihrer Orientierung beitragen, vielleicht andere zur Beantwortung anregen und auffordern. Nur soviel soll er. Das Begehren der arbeitenden Klassen tritt in ziemlich verhüllter Gestalt auf. Sie scheinen politische Anerkennung und Bedeutung anzusprechen. Ein solches Verlangen wäre in der Tat beunruhigend. Da seine Gewährung unumgänglich zur Republik führen müßte, so würde es der Grund jenes unzähligen Mißgeschicks von Privaten und Völkern sein, das eine so große Veränderung der Regierungsform über Europa notwendig verhängen müßte. Die Kräfte, welche ruhig und rasch der welthistorischen Entwicklung dienen könnten, würden abermals eine unnütze Digression machen, und die Geschichte hätte einen peinlichen Umweg mehr zu beschreiben. Denn es findet in dieser Beziehun3 ein charakteristischer Unterschied zwischen dem Altertum und der Neuzeit statt. Wenn .die politische Freiheit jenem wesentlich notwendig war, so ist sie es dieser zu Zeilen nur f 0 r m e 11 gewesen. Wenn sie dort das unumgängliche Element war, in dem der Geist allein sich entwickeln konnte, so ist sie hier nur sein Diener ~ewesen, um die Hemmnisse, die in dem Willen oder der Einsicht der Regierenden lagen, zu beseitigen. Ans ich ist die politische Freiheit kein Gut mehr. Die Errungenschaft des menschlichen Geistes in Moral, Wissenschaft und Mechanik - wir nennen nur die moderne Rechtsidee und die Presse ~ ist durchweg schon zu groß, als daß es noch ihrer, der politischen Freiheit, Gewitter bedürfte, ihn zu befruchten. Aber das mag denn die Frage sein, wenn sich hinter dem Begehren nach politischer Macht noch ein anderes bergen sollte, was die Geschichte gewähren will, ob die Könige ihm früher genügen werden, als die Republik es ihnen vorgemacht hat. 3*

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In der Tat hat es der verräterischen Rufe unter den arbeitenden Klassen genug gegeben, um zu wissen, daß die Erlangung politischer Macht nur Mittel zum Zweck für sie sein soll. Der Zweck selbst ist: mehr Besitz! - Für manchen wird dies ein neuer Beweis jenes krassen Materialismus sein, unter dessen Herrschaft die Welt steht. Indessen haben die Zeiten von jeher unter vorherrschenden Richtungen gestanden. .j\.uch wollen wir an dem Materialismus so wenig die Bestechlichkeit und die Genußsucht rühmen, als an der christlich-religiösen Richtung des Mittelalters die Greuel des Fanatismus. Aber wir sind so kühn, den reinen Gewinn, den die Menschheit aus den großartigen Wcltverbindungen durch Eisenbahnen 'und Dampfschiffahrt zieht, mit dem zu vergleichen, was ihr die Kreuzzüge einbrachten. Zudem kann man sich über den Materialismus insofern beruhigen, als er u n s gefahrloser ist, wie er dem Altertum war. Das macht, weil Reichtum und Besitz heute durchweg mehr auf die Ar bei t gestellt sind; Arbeit aber ein so kräftigendes Element ist, daß es auch einer gesunkenen und erschlafften Seele ihre Elastizität wieder zu geben vermag. - Jedoch hat auch jener Ruf einen andern Grund. Er wird gleich unten genannt werden. Hier wollen wir vorläufig so unparteiisch sein, das "mehr Besitz" zu übersetzen. Es heißt dann-und weniger abschreckend - mehr Teilnahme an der Bildungsstufe der Zeit, mehr Teilnahme an den Wohltaten der heutigen Kultur!Die z w ei t e Frage ist identisch mit der: Werden die arbeitenden Klassen das, was sie wollen, mit Ernst wollen? Zweifle keiner, sie werden es mit dem Ernst, den die Weltgeschichte braucht, wenn sie ihre großen Pläne ausführt! Erwägen wir genau jedes Moment, was denselben anregt, jedes Mittel, das wir ihm entgegenzustellen haben! - Die arbeitenden Klassen haben von den Wohltaten der heutigen Gesellschaft die persönliche Freiheit und eine gleiche formelle Gerechtigkeit, wie alle übrigen; weiter nichts! Wenn das aber viel ist, so i;